Jakob, 7 Jahre
Jakob, 7 Jahre

Multitasking

Neulich war Silvester und nach dem dritten Kaisergranat meinte unser Nachbar, es hätte vermutlich prähistorische Ursachen, dass Frauen multitaskingfähiger seien als Männer. Schließlich jagten letztere nur dem Mammut hinterher, während sich Frauen auch noch um die Kinder kümmern müssten, während sie Beeren sammelten.

 

Fast hätte ich widersprochen. Nicht der Sache an sich – aber die Vorstellung, dass die Frauen lediglich sammelten und hüteten, war doch eindeutig zu kurz gegriffen. Vor meinem inneren Auge sah ich jedenfalls sofort eine bestens beschäftigte Steinzeitdame vor mir, die mit einer Hand ein Riesenfaultierfell gerbte und mit der anderen eine schmackhafte Auerochsen-Brühe zubereitete … die überdies das Feuer am Brennen hielt, während sie gleichzeitig ihre Erstgeborene Uuarg’h davon abhielt, den kleinen Bruder Hundr’ghrrr mit der Steinaxt zu skalpieren und die nebenbei auch noch einen Säbelzahntiger abwehrte, der ihr an die Auerochsen-Suppe wollte.

 

Allein die Frage nach meinem Blog (und zwar dem hier), der seit mehreren Jahren im tiefen Dornröschenschlaf ruhte, ließ mich vorzeitig verstummen. Ja, wieso eigentlich hatte ich seit 2013 keinen Beitrag mehr verfasst? Schließlich bin ich doch eine Frau und damit automatisch multitaskingfähig … oder? Ich kann gleichzeitig ein Buch, einen Blogeintrag und einen Einkaufszettel schreiben und nebenbei noch die Steuererklärung machen, eine professionelle Zahnreinigung durchführen lassen und das Auto zur Werkstatt bringen.

Oder?

 

Ein Blogbeitrag zum Thema „Multitasking“ – das erschien mir spontan als das totale … Multitasking! Vor allem, weil ich ja wirklich echt viel gleichzeitig kann! Zumindest tu ich es einfach. Manchmal ist das nicht gut, ich weiß ja. Beim Essen zum Beispiel sollte man voll und ganz in seinem Tun aufgehen und jeden Bissen ganz bewusst schmecken und zwanzig Mal kauen, bevor man ihn herunterschluckt. Man sollte nicht nebenbei E-Mails beantworten und die letzten Adventskranz-Wachsflecken vom Tisch pulen.

 

Mir ist auch klar, dass ich beim Zähneputzen nicht immer Mah-Jongg spielen sollte. Aber Zähneputzen ist so langweilig. Mah-Jongg macht viel mehr Spaß! Und vielleicht breche ich ja doch noch mal meinen persönlichen Rekord! Auch wenn ich mittlerweile schon gar keinen Zahnschmelz mehr auf dem Dentin habe.

 

Natürlich ist es auch viel einfacher, mehrere Dinge gleichzeitig zu tun, die einem leicht fallen. Ich kann zum Beispiel sehr gut auf dem Sofa liegen, dabei Netflix gucken und Schokolade essen. Ich möchte nicht so weit gehen, von so etwas wie Talent zu reden – aber darin bin ich wirklich gut!

 

Viel schwieriger ist es hingegen, Tätigkeiten miteinander zu verbinden, die schon einzeln nicht so ganz ohne sind. Stricken und Isländisch lernen zum Beispiel.

 

Stricken. Selbstverständlich habe auch ich mir in den Achtzigern mal einen Pullover gestrickt, so wie alle weiblichen Jugendlichen damals, die darüber hinaus Teeservices mit Stövchen besaßen und Mixtapes aus dem Radio aufnahmen. Die Wolle war blau und flauschig gewesen (Plüschquamperfekt heißt diese Zeit grammatikalisch richtig) und hatte so manchen Fehler verziehen. Anschließend habe ich dann die beiden Wollquadrate und diese seltsamen Puffärmel zusammengenäht und zack, fertig, nie angezogen.

 

Woher kamen jetzt nur diese Gelüste nach Wolle und Stricknadeln? Fast vierzig Jahre später?

 

Nachdem mich das Nadelspiel und die dünne Sockenwolle meiner 2008 verstorbenen Schwiegermutter bereits vor Weihnachten in den schieren Wahnsinn getrieben hatten, wusste ich genau: Wenn es in diesem Leben noch mal klappen sollte, dann mussten zwei dicke Nadeln her und sehr dicke, flauschige Wolle, die so manchen Fehler verzeiht (es sind übrigens Leuchtnadeln geworden, 8 mm dick. Ich wollte gar keine Leuchtnadeln kaufen, aber sie waren sehr stark herabgesetzt, da sie aus dem Sortiment genommen werden.).

 

Und nun sitze ich auf dem Sofa mit dem glückseligen Gefühl, mir gerade einen sehr großen, dicken Schal (oder eine kleine Decke) zu stricken! Jedenfalls irgendwas, was einfach ist und was man sich anschließend dekorativ um die Schultern legen kann. Ohne Bündchen, ohne Maschen, die man auf- oder abnehmen muss. Ohne eine Ferse, Finger oder aufwendige Muster. Einfach nur rechts, links, rechts, links.

 

Herrlich.

 

Okay, ein bisschen langweilig auf Dauer. Schließlich wird mein Schal ziemlich breit (es sei denn, es wird eine schmale Decke). Rechte Masche, linke Masche, rechte Masche. Also schalte ich Netflix ein. Das kann ich. Neben mir liegt Schokolade. Und die Isländischhausaufgaben der letzten Stunde. Ich bin nicht sehr sérfróður im Stricken (bzw. sérfróð: weibliche Form). Zu sérfróður kann man auch sérmenntaður sagen (in meinem Fall sérmenntuð). Beides heißt „fachkundig“. Das bin ich nicht. Zumindest, was das Stricken betrifft. „Stricken“ heißt prjóna. Rechts, links, rechts. Ég er ekki mjög góð í prjónaskap. Oder prjónaskapum? Rechts, links. Rétt, rangt. Oder röng? Aber eigentlich heißt „rechts“ doch hægri. Wieso ist es beim Stricken anders? Rétt, rangt, rangt ... röng?

 

Ha? Wieso ist da mit einem Mal eine linke Masche zu viel? Und vor allem: Wie krieg ich die wieder weg? Halt, stopp, was hat Leonardo di Caprio gerade gesagt? Wir werden alle sterben? Halastjarna hrapar til jarðar! Oder … á jörðina? Wieso ist mein Isländisch nicht besser als mein Stricken, obwohl ich die Sprache schon seit acht Jahren lerne … und Stricken erst seit acht Minuten? Aaargh, jetzt klebt Schokolade in meinem breiten Schal (eða í litlu teppinu mínu)! Af hverju bin ich allt í einu nicht mehr multitaskingfähig? Warum haben nálarnar mínar einen Wackelkontakt? Og bara eine Nadel leuchtet! Það er Schokolade alls staðar! Andskotans! Nein, Finger weg von meiner Auerochsen-Suppe! Ist das da ein Säbelzahntiger, der gerade meine Kinder auffrisst? Hjálp! Tannbursti! Mah-Jongg!!!

 

 

 

 


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Copyright Titelbild: Daniela Kohl